E-Commerce-Leitfaden
ibi research an der Universität Regensburg GmbH
04.11.2011

Widerrufsrecht im Wandel - Im Gespräch mit Dr. Volker Baldus (janolaw AG)

Im Gespräch mit Dr. Volker Baldus, janolaw AG, www.janolaw.de

Herr Dr. Baldus, das Widerrufsrecht befindet sich seit Jahren im Wandel, so dass man fast schon den Sinn und Zweck aus den Augen verloren hat. Wozu dient das Widerrufsrecht?
Das deutsche Widerrufsrecht basiert auf europarechtliche Vorschriften und soll Verbraucher vor typischen Gefahren des Fernabsatzes (z.B. Onlineshopping, Teleshopping, Katalogbestellungen etc.) bewahren. Beim Fernabsatz befinden sich die Vertragsparteien (Käufer und Verkäufer) und die Kaufsache nicht an einem Ort. Der Käufer hat also nicht wie in einem Ladengeschäft die Möglichkeit, die Ware anzufassen oder anzuprobieren. Entschließt sich der Käufer in einem Ladengeschäft zum Kauf, dann ist er an den Kaufvertrag auch gebunden. Es gibt in diesen Fällen kein Widerrufsrecht und der Käufer ist bei einem Umtauschwunsch (Stichwort "Kaufreue") auf die Kulanz des Verkäufers angewiesen. Der alte Rechtsgrundsatz "geschlossene Verträge sind einzuhalten" wird aber bei modernen Fernabsatzverträgen zugunsten des Verbrauchers aufgeweicht. Grund: Ein Kunde muss sich zunächst auf die Bilder und die Produktbeschreibung im Online-Shop bzw. Katalog verlassen und kann die Ware erst nach dem abgeschlossenen Kaufvertrag und Versand überprüfen. Ohne ein Widerrufsrecht müsste er z.B. die Jeans, die er vorher nicht anprobieren konnte und nun daheim nicht passt, behalten. Es wäre unwahrscheinlich, dass ein Käufer in solchen Fällen noch einmal einen Einkauf über das Internet tätigen würde. Daher nutzt das Widerrufsrecht mittelbar auch den Shopbetreibern. Das Gesetz verpflichtet die Händler dazu, ihre Käufer über dieses Recht umfassend zu informieren und stellt dafür eine Muster-Widerrufsbelehrung zur Verfügung.

Am 4. August 2011 ist eine überarbeitete Muster-Widerrufsbelehrung in Kraft getreten. Welchen Anlass gab es für die Neuregelung?
Der deutsche Gesetzgeber hat als Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2009 ein Gesetz zur Änderung der Wertersatzvorschriften verabschiedet, das am 4. August 2011 in Kraft getreten ist. Der EuGH hat die alte deutsche Regelung beanstandet und verlangt, das ein Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübt, nicht generell zum Wertersatz für die Nutzung der Ware verpflichtet werden darf.  Durch die nun gültige Neueregelung muss ein  Verbraucher Wertersatz für gezogene Nutzungen (d.h. Gebrauchsvorteile) oder für die Verschlechterung nur leisten, wenn er die Kaufsache "übergebührlich" genutzt hat. Dies muss der Verkäufer dem Kunden jedoch im Streitfall nachweisen. In der Gesetzessprache heißt es, dass die Ersatzpflicht nur eintreten soll, wenn der Verbraucher die Ware in einer Art und Weise genutzt hat, die über die "Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware" hinausgeht. So darf man z.B. eine Kamera zuhause einmal testen, aber nicht zwei Wochen mit den Urlaub nehmen.
Dieser Passus muss künftig in allen Belehrungstexten im Rahmen der Widerrufs- bzw, Rückgabefolgen auftauchen und dient daher als Kontrollinstrument, ob ein aktueller Text benutzt wird. Es gibt eine Übergangsfrist von drei Monaten, d.h innerhalb dieses Zeitraums können die alten gegen die neuen Belehrungen ausgetauscht werden. Erst nach Ablauf dieser Frist am 4. November 2011 können veraltete Belehrungstexte abgemahnt werden.

Die Frage nach der Wertersatzpflicht beschäftigte bereits den Bundesgerichtshof. Welche Konsequenzen hat das sog. Wasserbett-Urteil für Online-Händler?
In dem Fall ging es um einen Händler, der Wasserbetten über das Internet zum Verkauf anbietet. Ein Kunde erwarb ein Wasserbett zum Preis von 1.265 Euro und füllte es daheim mit Wasser auf, um es auszuprobieren. Anschließend widerrief er den Kaufvertrag. Da der Händler nach seinen Angaben das Bett nicht mehr als Neuware verkaufen konnte, hielt er vom Kaufpreis 1.007,- Euro als Wertersatz zurück. Auf die Wertersatzverpflichtung ist der Kunde auch bei Vertragsschluss im Rahmen der Widerrufsbelehrung hingewiesen worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat aber im November 2010 entschieden, dass den Käufer keine Wertersatzpflicht trifft und der Händler zur Rückzahlung des vollständigen Kaufpreises verpflichtet ist. Ein Käufer muss die Gelegenheit haben, die im Internet gekaufte Ware auch zu prüfen und auszuprobieren, weil er sie vor Vertragsschluss nicht sehen kann. Der Aufbau des Betts und die Befüllung der Matratze dienten lediglich der Überprüfung. Das wirtschaftliche Risiko, das durch die erlaubten Überprüfungen möglicherweise ein Wertverlust eintritt, trägt also der Verkäufer.

Welche Vorteile bringt die Nutzung der Muster-Widerrufsbelehrung mit sich?
Die Muster-Widerrufsbelehrung wurde bereits am 11. Juni 2010 in den Rang eines formellen Gesetzes "befördert", damit sie von deutschen Gerichten künftig nicht mehr in Teilen für unwirksam erklärt werden kann. Hier lag nämlich das Hauptproblem der alten Muster-Widerrufsbelehrung, die lediglich den Rang einer Verordnung inne hatte und daher vor Gerichten wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht angegriffen werden konnte. Dies war eine der Ursachen für die Abmahnwellen der letzten Jahre, die aus einem als Hilfsmittel zur Verfügung gestellten Muster einen Alptraum für Online-Händler machte. Das deutsche Widerrufsrecht ist schwer lesbar in den §§ 312ff, 355 ff. BGB geregelt und verpflichtet den Verkäufer dazu, den einkaufenden Verbraucher (Unternehmer profitieren nicht vom Widerrufsrecht) über Widerrufsfristen, Wertersatz, Tragung der Rücksendekosten etc. genau zu informieren. Da diese Vorschriften für den Laien nur schwer nachvollziehbar, geschweige denn schriftlich darstellbar sind, hat der Gesetzgeber den Händlern einen Mustertext aus verschiedenen Textbausteinen zur Verfügung gestellt. Es steht dem Händler frei, ob er dieses Muster nutzen oder eine eigene Belehrung erstellen möchte. Aus eigenem Interesse sollte er aber auf die Muster-Widerrufsbelehrung zurückgreifen, um nicht wegen einer unvollständigen oder falsch formulierten Belehrung abgemahnt zu werden.

Wer muss eigentlich im Fall des Widerrufs die Kosten der Hinsendung tragen?
Das Gesetz verliert zu diesem praktisch relevanten Punkt kein Wort. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im April 2010 in einem auch für die deutschen Gerichte verbindlichen Urteil ausgeführt, dass der Verkäufer im Fall des Widerrufs die Kosten der Hinsendung zu tragen hat. Bei den Hinsendekosten handelt es sich um die Versandkosten, die der Kunde zusätzlich zum Kaufpreis zahlen muss. Die Versandkosten muss der Verkäufer zusammen mit dem Kaufpreis dem Kunden nach Ausübung des Widerrufsrechts erstatten. Der Gesetzgeber hat die Neuregelung des Wertersatzes nicht dazu genutzt, einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Verkäufers bzgl. der Hinsendekosten in den Text der neue Muster-Widerrufsbelehrung aufzunehmen.

Und wer zahlt die anfallenden Versandkosten, die im Fall des Widerrufs durch Rücksendung der Ware entstehen?
Bei den Rücksendekosten ist die Rechtslage etwas differenzierter. Wer die Kosten der Rücksendung bei Waren im Wert bis 40 Euro dem Kunden auferlegen möchte, muss nach der herrschenden Rechtsprechung auch eine diesbezügliche vertragliche Regelung in seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufnehmen und gleichzeitig in seiner Widerrufsbelehrung über diese Regelung informieren. Achtung: beim Rückgaberecht, das der Verkäufer anstelle des Widerrufsrechts einsetzen kann, ist eine Auferlegung der Rücksendekosten nicht möglich. Bei der sog. 40 Euro Klausel handelt es sich um einen deutschen Sonderweg, der Online Händler nun teuer zu stehen kommt. Nach europäischem Recht ist vorgesehen, dass der Käufer im Fall des Widerrufs immer die Kosten der Rücksendung und der Verkäufer im Gegenzug die Kosten der Hinsendung zu tragen hat. Den nationalen Gesetzgebern stand es aber frei, strengere Verbraucherschutzvorschriften zu verabschieden. Deutschland hat sich für die umständliche 40 Euro Regelung entschieden, so dass Verkäufer von teuren Waren nun im Fall des Widerrufs mit den Hin- und Rücksendekosten belastet sind. Aufgrund einer am 23. Juni 2011 vom Europaparlament verabschiedeten Verbraucherrichtlinie, die der deutsche Gesetzgeber voraussichtlich bis 2013 umsetzen wird, wird diese Regelung aber bald der Vergangenheit angehören. Der Käufer muss dann immer die Kosten der Rücksendung tragen, dem Händler steht es aber frei, diese Kosten z.B. aus Werbungsgründen freiwillig zu übernehmen.

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